Oberstufe goes Theater Bremen

Zeichnung von Liza Sleman, 11.2

„Verwirrend“, „Gar kein klassisches Stück“, „Bizarr“, „Interessante Bühnentechnik“

So äußerten sich einige Schüler:innen unserer gymnasialen Oberstufe über die Aufführung von Emilia Galotti im Theater Bremen. Am letzten Freitag besuchten wir mit 40 Schüler:innen im Rahmen des Deutschunterrichts die Aufführung von Emilia Galotti, die so gar nicht klassisch war, wie ein Schüler der 11.1 anmerkt.

Zeitgemäße Inszenierung: Geschlechtertausch und normale, funktionale Kleidung

Die Theatergruppe hat es geschafft, das klassische Werk von Gotthold Ephraim Lessing aus dem Jahr 1772 in ein zeitgemäßes Gewand zu kleiden. Die Regie führte uns mit viel Kreativität und Innovation durch die Geschichte von Emilia Galotti, einer jungen Frau, die in dem gleichnamigen Drama von Gotthold Ephraim Lessing zum Spielball männlicher Gelüste und Gewalt wurde. Dabei löste sich das Ensemble von der klassischen Darstellung: Teure, barocke Kleidung suchte man vergebens. Stattdessen waren alle Schauspieler:innen recht einheitlich und einfach gekleidet. Männer übernahmen die Rollen von Frauen und umgekehrt. Teils teilten sie sogar eine Identität. „Das fand ich total verwirrend“, äußert sich eine Schülerin. Weiterhin wurden Regieanweisungen gesprochen und nicht nur einfach von den Schauspieler:innen ausgeführt. Viel Stoff also, um später über diese Interpretation zu diskutieren und zu spekulieren.

Bühnenbilder erzeugen Spannung und regen zum Nachdenken an

Die Bühnenbilder waren beeindruckend und nüchtern zugleich: So dominierte zu Beginn ein riesiger, weißer Schleier die Bühne. Die Charaktere tauchten in ihm ein, Handlungen verliefen in Zeitlupe. „Der weiße Schleier kann für einen Brautschleier gestanden haben“, so die Schüler:innen. Emilia Galottis Verlobter wurde am Hochzeitstag ermordet und sie geschändet. „Weiß steht für Frieden und Unschuld“, merkt ein Schüler an. Doch der Schleier verschwindet später in eine bodenlose Tiefe, so wie Emilias Unschuld und die friedvolle Stimmung vor einer Hochzeit. „Für mich sah das aus wie ein Spinnennetz“, entgegnet eine Schülerin. „Spinnennetze entstehen dort, wo lange Zeit niemand war, sie stellen überdies eine Falle dar.“ Dies könne also einerseits ein Verweis auf ein bereits seit Ewigkeiten bestehendes Problem der Menschheit sein: Gewalt an Frauen sowie ihre Unmündigkeit. So gab es zwischendurch auch immer wieder Verweise auf das Schicksal der Verginia und der Lucretia, beides Frauen, die in der Antike für die Moralvorstellungen der männlich geprägten Welt ihr Leben lassen mussten. Andererseits könne ein solches Spinnennetz es zeigen, wie die Menschen in ihren (Geschlechter-)Rollen gefangen sind und nicht mehr aus diesen herauskommen.

Plateauschuhe mal anders: Von Schuld, Gleichberechtigung und dem Aufbau eines Dramas

Ein besonderes Detail kam am Ende auf: Der Bühnenboden hob sich endlos langsam, verdeckte die Schauspieler:innen und eine Stimme aus dem Off philosophierte über menschliche Schwächen und Grausamkeiten. Dann wurde uns der Blick auf die Schuhe der in einer Reihe stehenden Schauspieler:innen ermöglicht: Schwarze Plateauschuhe in unterschiedlicher Höhe. Nach und nach sind alle Personen wieder komplett zu sehen. Sie sind nun gleich groß. Ein Verweis darauf, dass wir alle gleichsam schuldbeladen sind? Ein Appell an die Gleichberechtigung unter den Geschlechtern und dass niemand die Ehre einer anderen Person durch Mord retten muss? Dem genauen Betrachter fällt auf: Es handelt sich um fünf Schauspieler:innen und die Höhe der Sohlen steigt bis zum dritten an, danach werden die Plateauschuhe wieder kleiner. „Ganz klar! Das spiegelt das geschlossene Drama wider: Fünf Akte und der Höhepunkt, die Peripetie, im dritten Akt“, äußert sich eine Deutschlehrerin nach dem Stück. Wenn auch die Inszenierung eine moderne war, so ist der Aufbau doch klassisch geblieben.

Die Getöteten klagen uns an: Verginia, Lucretia und Emilia aus dem Off

Besonders beeindruckend waren die schauspielerischen Leistungen der Darstellerinnen und Darsteller. Ihre Interpretationen der Figuren waren authentisch und mitreißend. Doch eine Stimme wurde vermisst: Emilia Galottis. Die Hauptfigur selbst kam nur später zu Wort: Als das Stück dem Ende zugeht, hört das Publikum eine weibliche Stimme aus dem Off. Die Schüler:innen sind sich einig: „Das war verwirrend“, und teils auch morbid: „Da war die Rede davon, wie der Körper von Maden zerfressen wird.“ Emilias Körper, Verginias Körper und Lucretias Körper… und die vieler anderer Frauen. Es geht darum, die Verteilung von Macht, die Anwendung von Gewalt zu reflektieren. Zeitgleich hebt sich der Boden, in (blinden) Spiegeln sieht sich das Publikum nun selbst und kann sich die Frage stellen, ob auch in ihm derartige Gewalt bzw. Gelüste zur Machtdemonstration gegenüber anderen schlummern. Eine Frage, die die Zeit überdauert hat.

Die moderne Inszenierung von Emilia Galotti war für uns ein wahres Highlight. Sie hat einige Vorstellungen von Theateraufführungen bei den Schüler:innen auf den Kopf gestellt, führt uns aktuell immer noch brisante Probleme vor Augen und wird uns so noch lange in Erinnerung bleiben.

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